Jahresausklang

Das Jahr 2014 verabschiedet sich – das Jahr 2015 naht.

In Hamburg wird am Vormittag des Sylvestertages die Jahresschlussveranstaltung der “Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V.” (VEEK) in den Börsenräumen der Handelskammer Hamburg abgehalten. Der VEEK fördert laut seiner Satzung u.a. die seit 1517 bestehende Tradition der kaufmännischen Selbstverwaltung in Hamburg, die Handelskammer1Zusammenarbeit seiner Mitglieder mit der Handelskammer Hamburg und den in Hamburg aktiven Wirtschaftsverbänden sowie in Abstimmung mit der Handelskammer die Kommunikation mit der Unternehmerschaft, der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit. Der VEEK ist mit seinen Vorgängerinstitutionen ein Stück “Hamburgische Pfeffersack-Geschichte”, die man heutzutage als “Lobbyorganisation” bezeichnen könnte.

So hat heute Herr Fritz Horst Melsheimer in seiner Funktion als der Präses der Handelskammer die alljährliche Rede vor dem VEEK gehalten. Erwartungsgemäß standen wieder die vor Gericht stehende Elbvertiefung, das Planungsrecht, die Umweltverbände und das Verbandsklagerecht im Fokus. Herr Melsheimer beschreitet in seiner Rede den gleichen Weg wie Herr Olaf Scholz anlässlich seiner Regierungserklärung am 08.10.2014:

…sind die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten im Genehmigungsverfahren. Das wurde uns am 2. Oktober diesen Jahres wieder einmal besonders drastisch vor Augen geführt. Das lang erwartete Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts zur Fahrrinnenanpassung der Elbe wurde nicht gefällt. … Die abermalige zeitliche Verzögerung dieses für die Metropolregion mit Abstand wichtigsten Infrastrukturprojektes wirft international Zweifel an der Verlässlichkeit von Infrastrukturplanungen in Deutschland auf und weckt die Sorge, ob der Industriestandort Deutschland die Wurzeln seines Wohlstandes zu verteidigen in der Lage ist. Die Wirtschaft hatte sich ein anderes Signal aus Leipzig erhofft. … Die Entscheidung des Gerichts macht aber eines klar: Die Zukunft Norddeutschlands mit seinen Hafenstädten Hamburg und Bremen und die Zukunft vieler anderer europäischer Metropolen am Wasser wird massiv durch eine EU-Richtlinie gefährdet, der alle Regierungen zugestimmt haben, die aber ganz offensichtlich niemand versteht. Anders ist es nicht zu erklären, dass weder die Planungsverantwortlichen wissen, nach welchen Kriterien eine mögliche Wasserverschlechterung zu bewerten ist, noch die Gerichte in der Lage sind, diese Frage ohne Verweis an den Europäischen Gerichtshof zu beurteilen. Ein inzwischen zwölf Jahre andauerndes Verfahren, mehr als 2.600 Seiten Planungsunterlagen, drei Planänderungen und die Beschlüsse dreier Landtage und des Bundestags, dokumentieren die Komplexität und die Tragweite des Projekts. Dass dieses Verfahren nun nicht nur durch die Klage der zuvor intensiv beteiligten Umweltverbände, sondern auch durch eine offensichtlich nicht justiziable Richtlinie weiter verzögert wird, ist skandalös. Meine Vorgänger und ich haben in den vergangenen Jahren an dieser Stelle – oft mit einem Augenzwinkern – über absurde Richtlinien der EU gesprochen. … Dennoch müssen aus der Situation… nun die richtigen Schlüsse gezogen werden. Das zu komplexe und unklare Umwelt- und Planungsrecht gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Erstens plädiere ich dafür, sämtliche Umwelt- und Planungsvorschriften auf internationaler, europäischer und deutscher Ebene zu überprüfen. Sie müssen vereinfacht und klar formuliert werden. Zweitens müssen wir grundsätzlich über den Ablauf von Planungsverfahren nachdenken. Statt den Umweltverbänden ex post das scharfe Schwert der Verbandsklage in die Hand zu geben, sollten sie ex ante stärker in die Verantwortung genommen werden. Das „ob“ einer Infrastrukturentscheidung sollte nach einem intensiven Beteiligungsprozess klar in parlamentarischer Verantwortung liegen. Diese gehört in dieser Hinsicht gestärkt.

Entgegen den Ausführungen von Herrn Melsheimer sind uns Beschlüsse dreier Landtage und des Bundestags unbekannt. Wir haben lediglich Kenntnis von Kabinettsbeschlüssen der Landesregierungen Schleswig-Holsteins, Niedersachsens sowie Beschlüssen des  Hamburger Senats und der Bundesregierung als Träger der neunten Elbvertiefung (Einreichung von Planfeststellungsunterlagen). Und diese Beschlüsse wurden allesamt erst im Frühjahr 2012 getroffen.

Herr Melsheimer scheint vergessen zu haben, dass die EU-Wasserrahmenrichtlinie bereits im Jahre 2000 mit Beteiligung von deutschen Vertretern im EU-Rat sowie einem Beschluss des EU-Parlaments in europäisches Recht umgesetzt worden ist. In den Folgejahren waren Bundes- und Landespolitiker, auch aus Hamburg, an der komplexen Umsetzung in deutsches und hamburgisches Recht beteiligt – zeitlich parallel zu der Erstellung der Planfeststellungsunterlagen für die neunte Elbvertiefung!

Herr Melsheimer schiebt dabei einen langjährigen Prozess nationaler und europäischer Diskussionen und Verständigungsprozesse zum Schutz des menschlichen Lebens und der Umwelt einfach beiseite. Dabei sind doch die EU-Wasserrahmenrichtlinie samt weiterer EU Umweltrichtlinien, die Verfahren im Planungsrecht und das Verbandsklagerecht auch eine gesellschaftliche und politische Reaktion auf die rücksichtlose Vorgehensweisen von Unternehmen, die ihre Unternehmenspolitik ausschließlich am Shareholder-Value oder einer rücksichtslosen Freiheit des Wirtschaftens orientieren.

Interessanterweise nutzt die Wirtschaft, deren SpitzHandelskammer2envertreter Herr Melsheimer in Hamburg ist, doch gern europäische Regelungen, wenn es um den „besseren“ Absatz ihrer Produkte und Dienstleistungen geht. Sie setzt massiv ihre Lobbyisten in Brüssel ein, um günstigere Wirtschaftsbedingungen durchzusetzen. Nun wettert Lobbyist Melsheimer gegen das Verbandsklagerecht, das die einzige Möglichkeit bietet, eine nationale Planfeststellung auf EU-Konformität gerichtlich überprüfen zu lassen. Welch eine Schizophrenie in Bezug auf Jubel und Ablehnung europäischer Regelungen.

“Ehrbare Kaufleute”, aber auch Erste Bürgermeister sollten mittlerweile wissen, dass Sozial-, Arbeitnehmer- sowie Umweltbelange und insbesondere eine demokratische Willensbildung kein “Gedöns” mehr sind. Sie sollten sich zudem endlich mal als glaubwürdige Europäer zu erkennen geben!