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Know-how-Verluste

Am Montag lud die Hamburger Handelskammer zum 4. Hamburger Schifffahrtsdialog, gemeinsam mit der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI), dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), dem Verband DeutsHandelskammer1cher Reeder (VDR) und dem Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZDS). Hauptthemen waren Umweltbelastungen durch die Schifffahrt und Sicherung des maritimen Know-how. Und was kommt dabei heraus?

Einhellig jammern die Großkopferten über vermeintlich zu hohe Lohnneben- und Versicherungskosten für deutsche Reedereien. Das führe zu zunehmender Ausflaggung und immer weniger gut ausgebildeten deutschen Seeleuten. Daher müsse jetzt dringend eine Entlastung für die Reedereien geschaffen werden. Nur dann könne sicher gestellt werden, dass weiterhin Seeleute nach deutschen Standards ausgebildet und auf Fahrt gehen können. Selbstverständlich übernehmen die bekannten Zeitungen (Abendblatt gleich zweimal, ZEIT) unhinterfragt die Forderungen nach steuerlichen Vergünstigungen für die Schifffahrt.

Rathaus1Doch rechnen wir mal “platt” nach:
Laut einer Veröffentlichung  des VDR (wurde im Internet zurückgezogen – alternativ die BSH-Statistik) fahren weltweit nur noch 183 Containerschiffe unter deutscher Flagge (Stand 2014). Um das zu dürfen, müssen u.a. mindestens 4 Seeleute mit deutschem Pass auf dem Schiff beschäftigt werden (wir berichteten). Wenn wir davon ausgehen, dass die Reeder nur das Mindestmaß erfüllen, sprechen wir von 732 Arbeitsplätzen, die in Gefahr sind. Eine der Änderungen, die von der Schiffswirtschaft gefordert wird, heißt, dass nur noch mindestens zwei Seeleute einen deutschen Pass haben müssen. Damit könnte die Anzahl der Arbeitsplätze auf den 183 Schiffen mal eben auf 366 reduziert werden. Nur um die Arbeitsplätze zu erhalten, müssten 183 Containerschiffe wieder in Deutschland eingeflaggt werden. Für wie wahrscheinlich halten Sie das? In der Konsequenz bedeuten die Forderungen doch weniger Versicherungs- und Einkommenssteuereinnahmen. Was soll eine solch unsinnige Subvention, die auch noch von Herrn Frank Horch (Hamburg) und Herrn Uwe Beckmeyer (Bund) unterstützt wird?

Gleichzeitig vernichtet der Billigimport von Waren aus Asien per Containerschiff in Deutschland tausende Arbeitsplätze. Niemand diskutiert über diesen Wahnsinn und fordert ein Umdenken in Politik und Gesellschaft über diese Frage. Gut ausgebildete Facharbeiter in Industrie und Handwerk gingen und gehen verloren, Deutschland verliert Know-how auf ganzer Linie. Es ist billiger, einen neuen Wasserkocher zu kaufen, als ihn reparieren zu lassen. Dasselbe gilt für Drucker, Computer, Fernseher, Waschmaschinen…

Ach ja, die obligatorische Forderung nach der 9. Elbvertiefung (eine zusätzliche Umweltbelastung) ist natürlich auch wieder auf dem Tisch gewesen. Interessanterweise hat Herr Fritz Horst Melsheimer, Präses der Handelskammer das Zeitfenster verschoben: “Ich hoffe auf für die Hamburger Wirtschaft positives Urteil zur Fahrrinnenanpassung der Elbe bis spätestens Anfang kommenden Jahres”, sagte Melsheimer.” Der Optimismus scheint langsam dem Realitätssinn zu weichen.

 

 

Halbmast für die Flagge

Immer weniger Containerschiffe unter deutscher Flagge – Wie kann dem entgegengewirkt Deutschlandwerden?” lautet der Titel einer schriftlichen kleinen Anfrage in der Bürgerschaft von Anfang diesen Jahres. Der Text der Anfrage führt aus, dass die deutsche Handelsflotte, insbesondere die Containerschifffahrt, weiterhin massiv ausflaggt. Und das obwohl der deutsche Staat der Schifffahrt für das Tragen der deutschen Flagge hohe Subventionen gewährt. Die Subventionen sind dabei vielfältig: sie können Sie alle unter dem Kapitel Finanzen auf der Internetseite Deutsche-Flagge.de nachlesen. Dort finden Sie z.B., dass

  • der Reeder 40% der Lohnsteuer, die die Seeleute an Bord eines deutschflaggigen Seeschiffes unabhängig von deren Nationalität zahlen, für sich einbehalten darf,
  • der Reeder hohe Zuschüsse für die Lohnnebenkosten, in der Regel sind das die Sozialversicherungsbeiträge, seiner angestellten EU-Seeleute erhält und damit praktisch keine Lohnnebenkosten mehr hat,
  • es eine Tonnagesteuer gibt, die einen normalen Steuerzahler nur den Kopf schütteln lässt.

… und das scheint für die “deutsche Flagge” alles nicht zu reichen. Die Ausflaggung geht weiter. Als Lösung hören wir von den Reedern lediglich, dass die Subventionen verstärkt werden müssen. Die Senatsantworten zeugen von Ratlosigkeit.

Allerdings hören wir von Seiten der Stadt gebetsmühlenmäßig, wie lukrativ die maritime Wirtschaft für Hamburg und Norddeutschland ist. Die Steuern sollen sprudeln, Arbeitsplätze und Wohlstand würden geschaffen werden. Aber auf die Frage, wie hoch denn die Steuereinnahmen für Hamburg von Schiffen unter deutscher Flagge sind, passt der Senat. Durch Ausflaggung gehen die Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer verloren und die sowieso schon geringe Tonnagesteuer-Einnahme sinkt weiter. Also, für die Containerschifffahrt unter deutscher Flagge gelten diese Aussagen auf jeden Fall nicht – kein anderer Logistikbereich erhält derartig umfassende Subventionen wie dieser.

Wo kommen denn nun aber für Hamburg die sprudelnden Steuerneinnahmen und die vielen neuen Arbeitsplätze her? Etwa von

  • den vielen Werften (Sietas oder SSB Oortkaten?),
  • den großen Reedereien (Hapag-Lloyd will seit Jahren keine schwarze Null gelingen),
  • den Terminalbetreibern (HHLA hat in 2014 die Dividende gekürzt),
  • den Schlepperreedereien (mit einem Wettbewerbsverfahren beim Kartellamt),
  • den Lkw-Truckern (die stundenlang kostenlos im Stau stehen),
  • den Schifffahrtsfinanzieren (HSH-Nordbank…),
  • den Eisenbahnunternehmen im Containerverkehr (…),
  • der staatlichen Hafenverwaltung HPA (hängt finanziell am Tropf der Stadt)?

Das Schweigen des Senates über realistische Steuereinnahmen, das Schweigen über Insolvenzen bzw. wenig wirtschaftliche Freude in der Hafenwirtschaft in Hamburg, das Schweigen über eine realistische Arbeitsplatzentwicklung im Hafen hat Methode. Ansonsten ist es nicht mehr zu erklären, dass von der Senat die einfache Frage 2. zu den wenigen Schiffen mit Heimathafen Hamburg “Wie hoch sind die geschätzten Steuereinnahmen, die Hamburg pro Jahr über Schiffe unter deutscher Flagge zufließen?
mit einem
Die entsprechenden Steuereinnahmen lassen sich in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht ermitteln oder realistisch schätzen, weil hierzu eine detaillierte Auswertung von über 30.000 Akten von Unternehmen und Unternehmensbeteiligten erforderlich wäre.” geantwortet wird.

Drohung mit der Flagge

Unter der Überschrift “Den Reedern ist Schwarz-DeutschlandRot-Gold zu teuer” veröffentlichte das Hamburger Abendblatt am 04.12.2014 ein Interview mit Michael Behrendt in seiner Funktion als VDR-Verbandspräsident.

Die wesentlichen Inhalte:

  • Die Krise in der Schifffahrt hält an, die Fracht- und Charterraten sind zu niedrig um kostendeckend zu arbeiten.
  • Es wird, um im Reedereimarkt überleben zu können, zu weiteren Fusionen großer Reedereien kommen: „Der Wettbewerb werde sehr stark über Schiffsgrößen, noch effizientere Schiffe und bei den Linienreedereien insbesondere über Unternehmensgröße ausgetragen. Auch weitere Fusionen unter den weltgrößten Reedereien schloss er nicht aus.”

Dann gibt es den Schwenk zur Artikelüberschrift: Schiffe unter deutscher Flagge fahren unter wirtschaftlich ungünstigeren Bedingungen, als andere, selbst in EU-Ländern. Daher müssten die Vorschriften für Reedereien verbessert werden, u.a. durch

  • Verzicht auf die Lohnsteuer.
  • Zukünftig sollen zwei statt bisher vier deutsche Besatzungsmitglieder ausreichen, um unter deutscher Flagge fahren zu dürfen.
  • Eine endgültige gesetzliche Regelung, dass Schiffserlöspools von der 19-prozentigen Versicherungssteuer befreit sind.

Vor welchem Hintergrund und mit welchen potenziellen Folgen diese Forderungen aufgestellt werden, können wir am 08.12.2015 im Hamburger Abendblatt unter der Überschrift „Die deutsche Flagge wird zum Auslaufmodell“ lesen.

Nach einer kurzen Einführung, die sich einerseits auf die angekündigte Ausflaggung bei der Reederei NSB und andererseits auf das Interview mit Herrn Michael Behrendt bezieht, folgen Fragen mit Antworten.

  • Bisher müssen Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, im deutschen Schiffsregister eingetragen sein und einen deutschen Firmensitz haben. Je nach Schiffsgröße müssen bis zu 4 Seeleute aus Deutschland bzw. der EU kommen, davon muss einer Schiffsmechaniker sein (weitere qualifizierte Anforderungen scheint es nicht zu geben, Anm. d.A.).
  • Diese bis zu 4 Seeleute unterliegen dem deutschen Arbeits- und Tarifrecht. Für sie muss der volle Sozialversicherungsbeitrag abgeführt werden.
  • Für diese bis zu 4 Seeleute behalten die Reedereien bereits jetzt 40 % der Lohnsteuer ein.
  • Der Gewinn von Schiffen wird pauschal nach der Größe ermittelt (Tonnagesteuer) und nicht nach den tatsächlich erzielten Frachtraten.
  • Auf deutschen Seeschiffen gilt die Rechtsordnung von Deutschland. Sicherheitsbestimmungen unterliegen entsprechend deutschem Recht und im Ausland muss bei Problemen die deutsche Diplomatie eingeschaltet werden.
  • Deutsche Schiffe gelten anscheinend als relativ sicher. Sie haben im Vergleich mit anderen Flaggenstaaten weniger Ausfallzeiten bei den Schiffen und weniger Arbeitsunfälle.

Wir erfahren auch, um wie viele Schiffe und Arbeitnehmer/-innen es geht: Derzeit sollen ca. 170 Frachtschiffe noch unter deutscher Flagge fahren und ca. 6.000 Seeleute deutschem Recht unterliegen.

Der ver.di-Experte und Seebetriebsrat der NSB, Andreas Näser, bestätigt, dass es eklatante Gehaltsunterschiede zwischen den Flaggenstaaten gibt: “Ein Kapitän von den Philippinen erhält etwa 5000 Euro Gehalt im Monat, ein deutscher 12.000 oder 13.000 Euro”. Aber er hält die Forderungen des VDR nicht für sinnvoll: “Wo immer Reeder sparen können, werden sie es aus Renditegründen auch tun. Wenn sie sehen, dass man die nach dem VDR-Modell verbliebenen zwei deutschen Seeleute woanders billiger haben kann, denn werden sie auf die billigeren Arbeitskräfte zurückgreifen”, sagt er.

Wir schließen uns der kritischen Einschätzung von Herrn Näser an. Zunächst stellen wir uns die Frage, wie viele Subventionen die kommerzielle Seeschifffahrt noch bekommen soll? Welche Erträge für die Steuerkasse stehen eigentlich diesen staatlichen Subventionen entgegen? Wer bezahlt diese Subventionen? Im Wesentlichen sind es doch wir Steuerzahler!

Die Konkurrenz von „Billiglöhnern“ kennen wir aus allen wirtschaftlichen Bereichen, vor allem in der Produktion und Logistik. Es muss endlich Schluss sein, mit dem Abbau der sozialen und wirtschaftlichen Standards deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Mit welchem Recht sollen die Reedereien mit „billigem“ Personal weiter arbeiten können und noch finanzielle Unterstützung aus deutschen Steuergeldern erwarten dürfen? Die gewünschte Begünstigung wird keinen Arbeitsplatz in Deutschland „retten“.

Aber noch etwas fällt uns auf. Herr Michael Behrendt war bis Juni 2014 Vorstandschef bei Hapag-Lloyd. Seit der Fusion mit CSAV vor wenigen Tagen ist er wieder im Unternehmen: als Aufsichtsratsvorsitzender. Hapag-Lloyd fährt die meisten der eigenen Schiffe unter deutscher Flagge: 3Hapag-Lloyd108 Containerfrachter, 17 Frachter unter der Flagge Bermudas, fünf unter britischer Flagge und fünf unter US-Flagge. Welche Flagge die von Hapag-Lloyd gecharterten Schiffe tragen, möchten wir lieber nicht hinterfragen.

Will uns der Aufsichtsratsvorsitzenden von Hapag-Lloyd, Herr Michael Behrendt, über den Umweg als VDR-Chef auf eine bevorstehende Ausflaggung der 38 Hapag-Lloyd-Schiffen vorbereiten?