Hamburg lässt sich gerne mit hanseatischen Traditionen in Verbindung bringen. Als “Hanseaten” werden Menschen empfunden, deren Haltung und Einstellung mit Weltläufigkeit, kaufmännischen Wagemut, Gediegenheit, Verlässlichkeit, Zurückhaltung sowie einer Fähigkeit zur Selbstironie umschrieben werden. Ehrbare Kaufleute, Schifffahrt, Reedereien und Hafen sind untrennbar mit diesen Empfindungen verbunden. An unserem Rathaus prangen die Wappen der Hansestädte, rot-weiß sind die Farben der Hanse und der Flagge unserer Stadt.
Unsere “Freie und Hansestadt Hamburg” hat sich im Jahre 2008 entschlossen, sich einem Konsortium anzuschließen. Das Konsortium trägt den Namen von Albert Ballin, eine der bedeutendsten hamburgischen jüdischen Persönlichkeiten in der Zeit des deutschen Kaiserreiches – in Hamburg geboren und gestorben. Er machte als Generaldirektor die HAPAG zur größten Schifffahrtslinie der Welt.
“Auf Grund einer Initiative des Bankhauses M.M. Warburg aus Hamburg und dem in Hamburg geborenen Unternehmer Klaus Michael Kühne entsteht ein Konsortium verschiedener Investoren, das das Ziel hat, Hapag-Lloyd als eigenständige Reederei mit Sitz in Hamburg zu erhalten und weiter zu entwickeln („Hamburger Lösung“)” entnehmen wir der zugehörigen Senatsmitteilung vom 20.05.2008. Das klingt sehr hanseatisch – schließlich war der Hamburger Kaufmann Max Warburg ein enger Freund und Begleiter von Albert Ballin.
Aber wer ist der “in Hamburg geborene Unternehmer Klaus Michael Kühne”? Jetzt lächeln Sie und denken an einen eigenwilligen Unternehmer mit Hotel, natürlich den HSV, das schicke Gebäude im Herzen der HafenCity und die vielen Lkw’s, die Ihnen regelmäßig begegnen. Der 1937 in Hamburg geborene Herr Kühne verantwortet ein Weltunternehmen, dass in diesem Jahr sein 125. Firmenjubiläum feiert. Das mutet doch fast hanseatisch an?!
Abgesehen davon, dass Herr Klaus-Michael Kühne ganz un-hanseatisch seinen Firmensitz seit langem im steuergünstigen Kanton Schwyz in der Schweiz hat, steht er einem Unternehmen vor, welches sich bis heute schwer tut, seine Firmengeschichte ernsthaft aufzuarbeiten. Nun kommt allerdings „Dampf auf den Kessel“, haben doch verschiedene Medien im Rahmen des Firmenjubiläum das Thema in die Öffentlichkeit gebracht.
Die Pressemitteilung vom 17.03.2015 von Kühne+Nagel ist mit “Bekenntnis zu seiner Geschichte” überschrieben und nimmt Bezug auf die Firmenhistorie in der Zeit von 1933 bis 1945. Ein Geschäftsfeld („Aktion M“), das diese Spedition in dieser Zeit bearbeitet hat, wird mit sparsamen Worten angedeutet. Genaueres finden Sie in Beiträgen der taz, der Süddeutschen Zeitung und dem Fernseh-Magazin Kontrovers.
- taz vom 28.11.2010 “Billigende Inkaufnahme“
- taz vom 31.03.2015 “Lasten der Vergangenheit“
- Süddeutsche vom 15.04.2015 “126 Schränke, 32 Uhren, zwei Kinderwägen” und Kontrovers vom Bayerischen Rundfunk “Die Vergangenheit von Kühne+Nagel“
Wie Kühne+Nagel 1933 mit dem jüdischen Miteigentümer Herrn Adolf Maass umgegangen ist, erfahren wir in der Pressemitteilung nicht. Die taz vom 16.02.2015 klärt in “Verwertung ohne Relevanz” über das Vorgehen der Brüder Kühne auf: Das Ehepaar Maass starb in Auschwitz.
Auch Herr Max Warburg wurde in dieser Zeit aus seinen geschäftlichen Aktivitäten herausgedrängt. Von 1933 bis 1938 konnte Herr Warburg mit Hilfe eines Vereins, seiner Bank und seinen Mitarbeitern die Emigration von 75.000 jüdische Mitbürger organisieren. Er selber musste 1938 in die Staaten auswandern.
Es hat sich mit der Gründung des Ballin-Konsortiums in 2008 eine sehr seltsame “Hanseatische Allianz” hinter Hapag-Lloyd formiert. Der Konsortialführer fand im Gründungsjahr hierfür schon bemerkenswerte Worte.
Mit “hanseatischem Geist der Stadt” kann das Verhalten des internationalen Unternehmens Kühne + Nagel samt seinem Eigentümer nicht erklärt werden. Auch nicht damit, dass angeblich das Firmenarchiv 1944 abgebrannt ist, gibt es doch im Verzeichnis der Deutschen Wirtschaftsarchive den Hinweis auf 10m Akten über die Firma. Da fragen wir uns: Welches weitere wackelige Fundament taucht jetzt für Hamburg und den Hamburger Senat bei der Hapag-Lloyd-Beteiligung auf?
Das bis vor wenigen Jahren zäh anmutende “Gedächtnis der Stadt” hat sich mittlerweile dramatisch verändert: Hamburg will mit neuer hanseatischer Tradition – insbesondere in Erinnerung des heutigen Tages – wissen, wer die Geschicke der Stadt mitbestimmen will.