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Handelskammer-Syndrom

HandelskammerDer Handelskammer Präses, Herr Fritz Horst Melsheimer und sein Geschäftsführer, Herr Hans-Jörg Schmidt-Trenz, haben zum Jahresende 2015 noch einmal ordentlich in die Sahne gehauen und uns Bürgerinnen und Bürgern gezeigt, was sie von uns halten: NICHTS.

Ausgangspunkt für ihre Einschätzung ist der Ausgang des Olympiareferendums im November 2015. In der Welt ist zu lesen, dass Herr Schmidt-Trenz dieses Ergebnis für einen Tiefpunkt der direkten Demokratie hält. “Die Entscheidung zu Olympia ist ja kein Einzelfall: Vor allem wesentliche Projekte der Infrastruktur werden mittlerweile auf außerparlamentarischem Weg angegriffen, verzögert, gestoppt: der Bau von Autobahnen und Bahnlinien, die Elbvertiefung, der geplante Fehmarnbelttunnel. Wir zehren von der Infrastruktur, die uns frühere Generationen bis in die 80er Jahre hinein aufgebaut haben. Seither ist wenig dazugekommen.” und “Durch den Widerstand von Anliegern, Umweltverbänden, Menschen mit Eigeninteressen gegen große Projekte drohe das Land ins Hintertreffen zu geraten, sagt Schmidt-Trenz: “Bei Infrastrukturprojekten haben wir heute schon häufig einen Zustand von Unregierbarkeit. Das Verhältnis von Exekutive und Legislative zu den außerparlamentarischen Akteuren muss neu definiert werden. Wie lange wollen wir von unserer Substanz zehren?” Präses Melsheimer äußert sich auf der „Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e. V.“ am 31.12.2015 in ähnlicher Form. “Wie kann es sein, dass sich der Senat und 85 Prozent der Bürgerschaft für ein Projekt (Olympiabewerbung) aussprechen und gleichwohl von der Bevölkerung eine Abfuhr erteilt bekommen? Das geschieht ja nicht zum ersten Mal und entwickelt sich allmählich zu einem Syndrom, dem „Hamburg-Syndrom“.

Die Antwort ist eigentlich ziemlich einfach: die regierenden Politiker samt Lobbyisten aus der Wirtschaft realisieren nur noch ihre eigenen Wünsche.  Anforderungen der Hamburger Bürgerinnen und Bürger werden einfach ignoriert. Infrastruktur ist da ein ganz großes Thema.

Jeder Nutzer des Öffentlichen Personennahverkehrs kennt das Thema: ein Vergleich der Schnellbahnpläne der deutschen Großstädte Hamburg, Berlin und München zeigt eklatante Unterschiede. Während es in Hamburg drei S-Bahn- und vier U-Bahnlinien gibt, sind es in München und Berlin jeweils mindestens das Doppelte bzw. Dreifache, die sogar noch von Straßenbahnlinien unterstützt werden.

U4-HafencityIn Hamburg kam der Schnellbahnbau Mitte der siebziger Jahren zum Erliegen. City-S-Bahn, U2-Billstedt/Durchmesserlinie und einige Linienverlängerungen waren die letzten Neutrassierungen. Das grundlegende U-Bahn-Netz stammt dabei, mit Ausnahme der im Sandhaufen endenden U4, vollständig von den Hamburger Altvorderen aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg und schließt sogar die ehemaligen Hamburger Exklaven Groß-Hansdorf, Schmalenbek, Ohlstedt, Wohldorf, Farmsen und Berne ein. Das U-Bahn-Netz ist seitdem, also bis heute (!!), auf das Gebiet des damaligen kleinen Hamburgs vor dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 beschränkt. Warum nehmen Politiker und die Chefs der Handelskammer Derartiges nicht wahr?

In Hamburg warten die Bürger seit vielen Jahrzehnten vergeblich auf die Einlösung der Politikerversprechen für neue Schnellbahnanbindungen: Osdorfer Born und Lurup, das Volksparkstadion, Rahlstedt-Großlohe, Kirchdorf, Steilshoop und Bramfeld, die City-Nord und die äußere Ringlinie samt Sprung über die Elbe.
Wir können aber auch fragen, wie lange die Realisierung der Flughafen-S-Bahn gedauert hat. Wann wird die S4 Richtung Ahrensburg realisiert werden? Wird die von Fritz Schumacher aus der Zeit um 1925 geplante Bahnverbindung zum Osdorfer Born wirklich doch nach rund 100 Jahren Planungszeit schon in 2026 fertig sein? Wo sind die Radwege bzw. Fahrrad-“Autobahnen”, damit Hamburgerinnen und Hamburger in einer modernen Metropole ohne Auto schnell und ohne Gefahr zur Arbeit kommen? Wo sind die Fahrradparkstationen an den Bahnhöfen? Warum werden P+R-Entgelte erhoben?

Alle vorgenannten offenen Bauprojekte und Fragen zur Infrastruktur erscheinen uns in Hamburg vollkommen unstrittig. Der Bedarf ist da – die Bevölkerung will, dass sich hier etwas ändert. Aber die Herren Melsheimer und Schmidt-Trenz von der Handelskammer sowie  85% unserer Hamburger Politiker erklären uns, dass das alles Unsinn sei. Man bräuchte vielmehr Olympische Spiele, eine Elbvertiefung, eine Hafenquerspange samt weiterer elbquerenden Autobahnen, einen Fehmarn-Belt-Tunnel und eine Y-Trasse. Alles Projekte, von der der sogenannte Otto-Normal-Bürger beim Bestreiten seines normalen Lebens nichts merkt.

Es stellt sich doch vielmehr die Frage, warum 85% der Politiker meinen, einen objektiven Bedarf der Bevölkerung ignorieren und an Stelle dessen ihre Vorhaben ohne weitere Erklärung durchziehen zu können? Was ist das für ein Verständnis von Demokratie?

Politiker und Wirtschaftsgrößen z.B. aus der Handelskammer sollten froh sein, dass ihre Bürgerinnen und Bürger mitbestimmen und sich engagieren wollen. Wenn schon vermeintliche “Größen” wie Melsheimer und Schmidt-Trenz keine Antworten zu den seit Jahrzehnten unbeantworteten Infrastrukturfragen geben können, dann wird es wirklich höchste Zeit, dass “derart hochdotierte Koniferen” mit ihrem Handelskammer-Hamburg-Syndrom schnellstmöglich vom Hof gejagt werden.

Mehr Demokratie in Hamburg

Im Abendblatt wiederfährt dem Leser eine “Geisterdiskussion” zwischen zwei Demokraten über die Stärkung der kommunalen Rechte der Hamburger Bezirke. Da wir in dieser Diskussion einen starken Bezug zum Hafen und zur Elbvertiefung erkennen, informieren wir Sie über diese Diskussion und sagen hamburgisch “Wahrschau”.

Hamburg ist durch das Groß-Hamburg-Gesetz aus dem Jahre 1937 zu seinen heutigen Stadt-Staatsgrenzen gelangt. Mit diesem politischen Akt  wurden die ehemaligen kommunalen Rechte der damals zu Hamburg gehörenden kommunalen Gliederungen und der Neuerwerbungen demontiert. Die vor 1937 bestehenden kommunalen Rechte wurden über den Begriff der “Einheitsgemeinde” in eine Zentralverwaltung im Hamburger Rathaus überführt: die Kommunen verlieren ihre Selbstverwaltungsrechte.  Die Hamburgische Definition der “Einheitsgemeinde” aus 1937 wurde dann in die Nachkriegsverfassung aus 1952 übernommen und wird bis heute in das Jahr 2014 nahezu unverändert fortgeführt.

Was bedeutet das?
In jedem Bundesland gibt es Kommunalparlamente, die über eigene Haushalte und Rechtssetzungsmöglichkeiten verfügen. So gibt es beispielsweise in Schleswig-Holstein kommunale Gliederungen, wie Kreise, Städte und Gemeinden, die verfassungsrechtlich eine Vielzahl von Rechten und Aufgaben vor Ort innehalten. Der Bau und die Finanzierung eines Kindergartens oder Altersheim oder die Höhe der Gewerbesteuer wird dort vor Ort entschieden und nicht in der Landeshauptstadt Kiel!

In Hamburg ist das anders: Hier wird alles im Hamburger Rathaus entschieden. Sollte ein kommunales Bezirksparlament oder die Mehrheit der Bürger über einen Bürgerentscheid ihren Willen einfordern, verfügt der Senat in Hamburg über die Möglichkeit, diesen demokratisch gebildeten Willen über die o.a. Verfassung mittels “Evokationsrecht” zu kassieren. Ein Beschluss der Bezirksversammlung wird durch einen einfachen Beschluss des Senats aufgehoben. Basta! Bitte nicht glauben, dass Berlin als Einheitsgemeinde z.B. mit Herrn Buschkowsky, dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, von den Rechten und Befugnissen her mit einem Bezirksamtsleiter gleichzusetzen ist.

Für den Bezug zum Hamburger Hafen müssen wir wieder die Geschichte aus dem Groß-Hamburg-Gesetz bemühen. Hamburg wollte DER deutsche Handels-Seehafen werden und rief Geister, an die sich heute keiner mehr erinnern will. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz vom 01.04.1937 wurde Wilhelmshaven mit Gebietsänderungen gleichzeitig der Weg zu DEM  deutschen Marine-Seehafen geebnet.

Für diese im Jahre 1937 verfolgten politisch-strategischen Ziele zur nationalen Hafenpolitik wurde Hamburg von den Braunen die o.a. “Einheitsgemeinde” verordnet. Es könnte noch verständlich sein, dass man in der Nachkriegszeit Hamburg mit der Nachkriegsverfassung dieses Relikt weiterhin für den Wiederaufbau nutzen wollte.

In der heutigen Zeit sind aber diese “Sonder-Rechte” des Senates, abgeleitet aus braunen Strategien oder Wiederaufbaunotwendigkeiten vollkommen unangebracht. Der aktuellen Initiative von “Mehr Demokratie” ist großer Respekt zu zollen. Wir bitten das Abendblatt, aber auch den Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion der Bürgerschaft, Herrn Dressel, in einer derartigen Diskussion auch die geschichtlichen Themen zu diskutieren.